Mein Kopf ist so leer.
Mein Herz ist voll, es klopft hart gegen die Rippen, in der Nacht kann ich kaum schlafen, weil es mich schaukelt, schaukelt in seinem viel zu schnellen Rhythmus.
Gespenster ziehen hinter den Wänden durch die Räume, ich höre sie seufzen, atmen, flüstern.
Nichts verstehe ich von ihrem Wispern, und doch reden sie von mir, von mir wie von einem, der doch schon lange einer der Ihren sei, ich muß nicht verstehen was sie sagen, ich fühle die Worte auf meiner Haut brennen, es juckt, doch so sehr ich mich kratze, die Wunden bluten. Nichts sonst.

Frauen liegen, in palweiße Laken gehüllt, am Fußende meines Bettes, sie tun, als schliefen sie, doch auch das weiß ich besser. Hinter halbgeschlossene Lidern beobachten sie mich.
Ich werde sie niemals aufwecken, auch wenn ich weiß, sie schlafen nicht, so soll ich das doch denken. Und sie haben ihre Gründe, dessen bin ich mir sicher.
Wenn ich die Wohnung verlasse erheben sie sich, und stellen sich im Badezimmer vor den Spiegel ohne Licht zu machen. Manchmal weinen sie, und dann finde ich ihre Tränen, wenn ich wieder da bin, kleine Tropfen im Waschbecken, die ich mit einem Strahl heißen Wassers wegspüle.
Sie beobachten mich.
Und sie weinen.
Vor einigen Tagen saß ich lange reglos im Dunkel des Zimmers. Einem Schatten gleich schmiegte sich mein Leib in die Schwärze der Nacht. Ich glaube, sie dachten ich sei weggegangen, jedenfalls liefen sie herum und legten ihre Ohren an die Wände.
Ein leises Rauschen wie von fernen Bächen war zu hören, ein Kichern, ein Stöhnen, ein Summen, schweres Atmen. Und immer wieder bleigraue Stille. Die Frauen begannen sich aus den Laken zu räkeln, sanftes Raunen weicher Stoffe, Baumwolle über glatter Haut. Wollüstig, schwerblütig und nackt gingen sie umher, verharrten reglos mit geschlossenen Augen, lauschend der Musik hinter den Mauern. Das Geräusch feuchter, bloßer Füße auf kaltem Boden.
Eine kam nah, sehr nah an mich heran, ohne mich zu bemerken. Ich roch ihre schwere Süße, roch ihre Haut, ihren Schweiß, roch Trauer, Sehnsucht, Verlangen und Tod. Ich streckte die Hand aus um sie zu berühren, warm war sie, warm und nah. Doch ich war mutlos, und die Fülle der in meinen Verstand eindringenden Fragen ließ mich zaudern.
Ich zog meine Hand zurück, weiße Federn stoben von meinen Fingern, der Mond schob Wolken aus seinen Krateraugen und hell fiel sein Licht durch die Fenster, erleuchtete den Raum, tauchte alles in bleiches Weiß. Die Körper der Frauen schimmerten wie Elfenbein, wurden gläsern wie Schiffe, flirrend  im Atem schemenhafter Horizonte. Ich sah die eine durch die anderen hindurch. Gläsern verschwanden sie, eine nach der anderen.
Lange blieb die eine zurück.
Sie sah aus dem Fenster in die Nacht, strich eine Haarsträhne aus der Stirn und weinte, legte beide Hände auf das Glas und verschmolz mit dessen Durchsichtigkeit.
Ich war allein.
Und im Aquarium starben alle Fische zu gleicher Zeit.
Auf dem Glas des Fensters sah ich noch immer ihre Hände. Eine müde Taube, ein Vogel, gemalt aus Tränen und Schweiß.
Ich ging auf das Fenster zu und küsste ihn mit bebenden Lippen.
Der Geschmack erinnerte mich an dich. Es war deine Haut, die ich küsste, es war deine Wärme die ich fühlte in Nächten wie diesen, dein Leib, der sich aus den Laken erhob und barfüßig den Raum durchschritt.
Deine Tränen, deine Sehnsucht, deine Trauer. Dein Tod.
Doch es war noch etwas anderes. Dein Lachen. Es war dein Lachen und dein Licht, welches ich in diesem Augenblick hörte und sah.
Du nahmst es mit als du gingst.
Leise schließe ich die Tür hinter dir, deine Schritte, einen Augenblick des Verharrens, bevor du in die Welt hinausgehst um allem die Stirn zu bieten, Mut und Vertrauen in deine eigene Stärke, nun, wo du mich, und alles was uns verbindet, hinter dir läßt.
Daran erinnerte ich mich.
Daran erinnere ich mich.
Meine Augen brennen als sei ich im Meer getaucht. Meine Haut ist wund und keine Salbe der Welt wird sie heilen, meine Hände sprechen noch immer von dir und meine Lippen vertrocknen ohne deine Küsse. Es wird kalt. Ein leiser Wind kommt auf und die Wellen zeigen sich auf der Fläche der Seen.
Katzen, wehklagend, jammernd, maunzend und scharrend hinter der Tür, ich lasse sie herein. Drinnen sind sie still, streichen warmfellig schnurrend um meine  Beine und beißen vorsichtig in meine Zehen. Ich trinke  Milch aus den Winkeln ihrer Münder.
Hinter den Wänden locken mich die Stimmen, die Frauen kehren zurück, ich bin leise, bewege mich nicht. Sie legen sich an das Fußende meines Bettes und schließen die Augen, warten auf Morgen, erinnern an gestern, den Augenblick vergessend mahnen sie mich an die Stunde, die du in meinen Armen lagst und mich fragtest, was ich schon lange nicht mehr weiß.
Ich werde schwer und  traurig, die Stimmen werden lauter.
Komm! Rufen sie mich, komm!
Hier hält dich nichts, du bist allein und niemand wird kommen dich zu retten, weil du immer sagtest, daß du dies nicht willst.
Nun ist es spät, der Mond wird trübe und sein Licht so fahl wie deine Leidenschaft, einst, in diesem leeren Bett.
Wie schmeckte mir die Sehnsucht süß
wenn du an einem Ort, an dem ich dich zu finden weiß, dich aufhielst und mit weichem Blick den Horizont absuchste, um nicht den ersten meiner Schritte zu versäumen. Die Sehnsucht schmeckte mir nach Sonne und nach Sand, nach einem Pfirsich, den du dir in deinen Mund gelegt, bevor sich deine Lippen öffneten, um mich in einem weichen Kuss aus dieser Welt zu tragen.
Wie klang die Sehnsucht ziehend
mir nach Violinen, Flöten, Vogelzwitschern hinter dichtem Laub der Bäume, nah am Waldesrand, wo Sonnenstrahlen lautlos ihren Weg in deine Augen fanden und mein Herz klopfte den Takt, in dem mir deine Stimme flüsternd liebevolle Worte sang, und träge mir dein Atem nah an meinem Ohr so fordernd seufzte.
Wie roch die Sehnsucht übervoll
nach heißer Haut und Milchkaffee und Rotwein, Zigaretten und nach tiefem Schoß in dem du ein Geheimnis wahrtest, welches du mir zu entschlüsseln aufgetragen hast. Und roch nach Rosengärten, Wasser, Wolken, sternenklaren Nächten ohne Schlaf, und weiße Federn trugen mich in schweren Schuhen hin zu dir, wo immer du auch wartetest.
Wie fühlte sich die Sehnsucht an in mir, in meinem Herzen, meinen Händen, meinem Fleisch, sie war so warm und kalt, ganz trocken war sie und doch feucht, so weich und hart, so klar und immerzu verschwommen wie ein Bild am Grunde eines tiefen Sees. Und immer rief ich dich und hörte deine Antwort - Warte Liebster, warte, bald, sehr bald schon werde ich in deinen Armen liegen!
Die Stimmen flüstern:
Laß es los, sie kommt nicht mehr, sie ist so weit gereist, zu weit, sie wird den Weg zu dir niemals mehr finden, zu verschlungen sind die Pfade, zu verstrickt ihr Herz und ihr Verstand und ihre Seele in den Netzen dieser Welt, die du so gerne nicht gesehen hättest, und welche doch am Tag und in der Nacht mit harten Fäusten an die Türen deines Hauses schlug.
Nun ist sie drinnen, diese Wirklichkeit, du hast nicht aufgepaßt, die Tür war viel zu lange offen, weil du hofftest, daß sie wiederkommt!
Ich wünsch mich taub und blind, mit kalter Haut und ganz und gar gefühllos wie so viele die ich glücklich schätze, doch, ich kann es und ich will es nicht. So ist der Plan, ich kann es lesen in den Augen aller, ich kann es hören hinter tausend Stimmen, schmecken, riechen, fühlen.
Die Sehnsucht
schmeckt nach faulem Fisch und klingt nach Hämmern auf Metall, sie riecht nach feuchten Lumpen und fühlt sich an wie Plastik über morschem Holz.
Ich will nicht essen, will nicht atmen und nicht wandern.
So ziellos unterwegs zu sein ist nicht das meine.
Die Frauen richten sich von ihrem Lager auf.
Und die Blicke aller finden meine Augen.
Sie kommen auf mich zu, umarmen mich und legen ihren kalten Hände mir in mein Gesicht.
Die Frauen bilden eine Kreis und nehmen mich behutsam an der Hand, so wie sich alle an den Händen nehmen. Ein Kuß von harten Lippen und ein Wort aus schwerem Wasser. Gleiten, schweben, fallen, stürzen.
Ein Flüstern,
Komm,
wir tragen dich
wenn du nicht länger laufen kannst.
Die Wände öffnen sich.
Ich trete ein
Wie lang schon
habe ich gewartet.
Und wie lang schon
fürchtete ich mich.
Und drinnen ist es dunkel, niemand spricht, kein Singen oder Summen, kein Rascheln oder Rauschen, und auch das Lied in mir, das einst dein Name war, verstummt. Ich will ihn schreien, Sand und Mörtel sickert tief in meinen Mund und meine Kehle, dringt in meine Ohren, zerreißt den Schleier meiner Augen und den Vorhang dieser Illusion die mir so lange deine Liebe war. Und klanglos stirbt mein Herz in einem letzten Atemzug.
Die Frauen nehmen Abschied.
In der Wohnung nebenan weint ein anderes Kind, sie werden seine Tränen trinken.
Ich bin zu Hause.

 

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©Wortflorist