An einem dieser Tage legte Gott ein Grau, so tief wie Wälder aus dem Morgen uns`rer Zeit, in mein Gesicht. Im Spiegel sah ich nichts, und lernte schnell den Zauberspruch der mich befreien sollte aus dem Denken eines Traums den ich nicht wollte, denn nichts geschah in dieser Wirklichkeit.
Und sachte legte sich die Hand in meine die ich suchte, einst, im Leuchten fahler Monde. Klein und sanft, so leicht wie Spatzenfedern, dennoch wiegend schwer und nicht zu tragen ohne Hilfe die doch niemals kommt, egal wie laut ich rufen werde. Sitz also da und bleib fast regungslos. Ist`s der Herzschlag meines Sehnens nach Erfüllung eines halben Lebens, welches wartet hinter müden Augen, der mich schwanken läßt und mich verrät?
Egal wie still ich bin, ein and`rer hat`s gesehn und schreit es laut aus diesem Fenster in den Hof der feucht noch glänzt vom Regen einer jahrelangen Nacht. Und blinden Mördern gleich, so schleichen sich Soldaten der Zerstörung meiner Hoffnung in die Pfützen, schmatzend schwere Stiefel spritzen kalte Wasser an die heißen Wangen derer, die dort schlafend harren einer Zukunft, die die Gegenwart geboren aus dem Gestern.
Strahlend hell im Sonnenlicht, mit flirrend harten Pfeilen in die Hirne stechend, starb der Traum mit einem Lidschlag, lautlos, ohne Warnung, blieben auch die Lemminge am Abgrund stehn; denn sahen sie die Meere über alle Ufer steigen, hörten berstend brechend einen Eisberg, der die Salze aller je geweinten Tränen wie einen Hut auf seiner Spitze trug und nun die Last nicht länger tragen kann. Zu schwer, zu groß ist Einsamkeit wenn sie die Seelen greift.

So falte ich die Hände dieser Toten die dort bei mir ist, seit tausend Jahren spricht sie Worte die ich nie verstand und welche einen Sinn ergaben für die Fremden, die in meiner Hülle Steine schleppend Mauern bauten, höher, als ich auch nur eine überspringen konnte.

Ich falte ihre Hände, höre leise brechend dürre Finger, sich vergeblich wehrend.
Erinnerungen werden wach.
Ich weiß, mein Herz, nicht nur für dich gab`s einen Gott der dir verzieh was du getan, doch damit ist`s vorbei, egal wie sehr du um Vergebung bittend tausend Kerzen abgebrannt in allen Kathedralen dieser Welt.

Ich falte diese Hände, schenk mir eine Kuß von kalten Lippen, schau mich einmal an auf daß ich weiß, du kennst die Angst, den Zorn und auch die Liebe, welche mich in deine Nähe trieb. Laß mich die Strähne feinen Haares dir aus deiner weißen Stirne streichen und sehn die Narbe hinter deinem Ohr, die einst die Wunde war, aus der dein Hirn gesickert Federkissen nässte die der Liebe Unterlage waren, albern war`s zu denken, daß es tiefer gehen könnte, wenn wir nur die Position verändern weiß ich heute, gestern dachte ich, ich wüßte es.
Ich seh dich an und suche dich zu kennen, doch finde nichts, was mir vertraut erscheint, ich sehe alles Fremde im bekannten, sehe trennendes, wo doch Verbindung auf der Haut geschrieben steht und fühle Leere, wo die Dinge bis zum Reißen dünner Hüllen angefüllt mit nichts als der Erinnerung an dieses Warten auf den Morgen der doch niemals kommt.

Es ist so still.

Es ist so still, ich höre nicht das Rauschen dicken Blutes, nicht dies Klopfen an den Wänden: Laß uns rein, wir frieren, seh am Horizont die Nebel wandern, hör nicht die Stimme tief in meinem inner`n die mich lockt mit dem Versprechen, daß am Ende doch der Lüge gleicht die ich am ersten Tag erkannt. Ich weiß, du wußtest daß ich weiß und doch hast du dies Spiel gespielt, bis ich mich nur ergeben konnte vor der Konsequenz, mit der du ach so anders sprachst als dachtest, wollte gehn, doch blieb. Und nun?

Es ist so still und grau.

So grau die Stille, Wände sind so nah und doch kann ich sie nicht berühren, denn sie sind der kleinste Teil der Wirklichkeit wenn man, wie ich, noch niemals Hände hatte die berühren lernten.
Hat deine Mutter dich umarmt als du im Bett gelegen um dein Leben kämpftest? Du weißt es nicht, du hast geweint, es riß dir Stücke aus dem Leib, welcher blutig eiternd auf den nächsten Morgen narbte, dem die Nacht, die schon im ersten Sonnenstrahl sich dir versprach, wie Ruprecht seinem Nikolaus Gefährte war. Und nichts hast du geglaubt und doch dich so nach einem Kuß gesehnt der dich erlösen sollte, weil die Hand die deine Kehle schnürt, sich ihrer Stärke nicht bewußt.

Ich weiß, du hofftest.
Und du wußtest auch
und Lügen glaubtest du dir selbst nicht einen Tag.

Es ist so still.

Und weiß du noch, es war der Tag an dem du in die Schule kamst, zum ersten mal, die spitze Tüte voll bis oben hin mit Naschwerk das die Zähne zieht so standst du einfach da, die Lücke im Gesicht und Angst im Herzen wußtest du, daß alles was du lernen wirst, dir beim Vergessen hilft. Und der, der dich in diesem Augenblick so angestarrt, steht heute noch so manchen Abend unten auf der Straße vor dem Fenster, schweigend wartend liebt er dich mit jedem Fünkchen seines Seins, raucht sich die Lungen wund um deinen Namen nicht zu flüstern den du doch wir rausgeschrieen immer wieder hörtest wenn du in der Badewanne lagst und deinen Kopf so hart gedrückt ins warme Wasser bis es deine Ohren füllt gespürt.

Wer ist der Tote den du in dir trägst? Wer ist der Tote der in dir so gierig nach dem Leben greift? so fragst du mich und doch ist eine Antwort nur das Echo deiner Frage, ist die Stimme welche niemals schweigt und doch niemals zu hören ist.

Es ist so still.

Das Grau scheint wispernd nun zu gleiten, Möwen gleich am Wolkenhimmel. Wolltest doch ans Meer;
nun ist es nicht mehr da.

Und einer sagt, seit Jahren schon ist Ebbe, denn der Mond kam eines Tages uns`rer Erde viel zu nah und nichts verhindert daß er bald der Spiegel wird, in dem wir müde uns erblicken. Komm, sieh mich an, ich weine. Trinke ein Träne, ich mache dich so klein bis du mikrobengleich in meinem Auge schwimmen kannst. Ich hoffe, daß es dich nicht stört daß kleine Fische...weißt du was? Ich denk dir einen. Jonas sollst du heißen, doch der Wal kann heute auch für dich ein Hering sein.

Ich denke dich.
Und es ist still.

Komm, sprich jetzt nicht und sag mir nicht, was tief in deinem Kopf so vor sich geht, es soll nicht sein daß Tote sprechen, es reicht mir schon, daß ich sie sehen kann.
Ich hör dich lachen, oder was ist das für ein Geräusch?
Mein Gott, ein Bein ist abgefallen, liegt jetzt so da, so nebenbei, fast sieht es aus, als müsse das so sein, ich heb es auf, ich weiß, daß das nicht richtig ist, es blutet nicht, ich halte es an diese Stelle wo es einst befestigt war, doch irgendwie gehört es länger nicht dorthin, ich laß es los und es hüpft fort durch eine Tür wo vorher keine war.
Ich hinterher und pralle an die Wand,
auf die die Tür gemalt von Kinderhand,
die Tür ins Wunderland
durch die mein Bein gerannt.

Wo bist du jetzt, mein Bein und alles?
komm doch zurück, wer weiß, ob ich dich nicht am Ende noch gebraucht, fällt mir in diesem Augenblick der Kopf mitsamt dem Hals vom Rumpf, nach hinten kippt er ab und fällt in dieses feuchte Kissen, eitergelb, es knistert leise.

Und denke, wie ich einst durch Wälder wandernd Vater hinterher, Gewehr bei Fuß, die Hasen sich versteckend hinter Rickenbeinen, nur die Ohren sind zu sehn, das reicht. Es ist genug die Fesseln zu zerschießen, schlanke Fesseln sind der Hasen tot. Und wieder höre ich das trock`ne Laub zu meine Füßen flüstern auf dem Weg zurück; da bluten mir die Hasen meine Jacke voll. Ich wollte sterben, weiß ich noch, an jenem und an jedem andern Tag, doch Vater schoß mit Absicht stets an mir vorbei.

Es ist so still.

Ich bin bei dir, mein Rumpf sitzt aufrecht, suchend tastet meine Hand umher um meine Kopf zu finden doch sie zieht mir nur das Kissen weg und setzt es obenauf, ich sehe keinen Unterschied. Steht auf und humpelt blind umher, fällt hin, steht auf, fällt hin und zieht sich fingernägelreißend fort in einen Spalt hinter der Wand, bleib hier, hör ich mich rufen fallen meine Ohren ab, die Nase, gleiten meine Augen aus den Höhlen, kullern Murmel gleich umher, die Welt scheint sich erneut zu drehn, wie damals, als es noch ein Universum gab. Dann bin ich blind und sehe nur was ich schon sah.
Ich höre in die Stille, höre Worte, hör Musik und Wasser rauschen, Blätter sich im warmen Winde regen und höre deine Stimme flüstern, bleib doch noch ein wenig hier, es ist so schön dich nah zu wissen, faß mich an und laß mich fühlen dich an Stellen, wo ich niemals dachte daß ich bin. Und küß mich zärtlich, hart und wild und weich und feucht und warm und fordernd, laß mich, spürst du nicht, es wird mir alles viel zu viel, geh fort bleib da, komm halt mich, laß mich endlich los ich kann nicht mehr ich will dich immer wieder ganz von vorn als gäbe es kein Gestern, denk dich morgen wieder...

Doch es ist still.

Wie kann das sein? Ich hab dich doch gehört, ach so, das Kreuz ist von der Wand gefallen, doch Jesus hält sich noch an seinen Nägeln fest, die Prüfung findet gestern, heute, morgen statt und auferstehen kann ich selbst, an jedem neuen Tag. Ich warte,  nehme dich, wie ich es dann für richtig halte. Komm, zieh dich aus, ich will dich sehen wie du wirklich bist, ganz nackt und Gänsehäute wandern über deine Haut die juckt und die du doch nicht kratzen darfst, so hat der Arzt gesagt, ein Lügner sei er? doch wen interessiert das schon, was ist nun hier, wo ist das Fenster, ist die Tür, wo ist denn der, der mich befreit, soll ich denn diesen Rest des Lebens alles stets alleine machen oder was?
Ich spüre Ungeduld mir wachsen so wie Rosenblüten süß und schwer sich windend über knorrigem Geäst am Rande eines dunklen Waldes. Komm schon, komm, ich bin bereit, nun nimm mich mit, ich kann nicht länger warten.

Noch immer lieg ich da, ganz sachte höre ich den blauen Vogel zwitschern den du einst  Melancholie getauft, er baut ein Nest in diese Höhle die zu and`rer Zeit die Wohnung meines Auges war, wie weich er ist. Und warm. So warm. Er legt ein Ei, ich kann es deutlich spüren. Es gleitet sanft aus ihm heraus und schweig. Und innendrin wartet ein Leben.

Tirillie.

Ich bleibe reglos, fühle wie es wächst und will es auch und will es nicht und kann doch nichts dagegen tun. Ein Klopfen schreckt mich auf. Ein Frettchen sitzt am Ende meines Bettes, schmatzt mit feuchten Lippen, kratzt in weichen Stoff und dann..? kommst du und scheuchst es einfach fort, greifst dann mit warmer Hand in meinen Kopf und drückst das kleine Leben einfach so heraus, es ist zu früh, so will ich rufen doch ich hab schon lange keine Lippen und auch keinen Mund. Ich fühle tief in mir ein Messer wachsen, einst begattet mit der Wucht der Stärke der Gewalt so steckt der Samen in mir drin und fault jahrzehntelang, um nun die Frucht ganz ohne Licht in Schärfe zu ersticken, und schneidet sich den Weg hinaus und  tut nicht weh und doch scheint es, als wolle etwas sterben was noch niemals lebte, doch wer weiß das schon?
Hast du`s geahnt?
Fast ist mir so, du bist zu still. mir scheint, du weiß etwas, was ich niemals begreifen kann.

Es ist so still.
Es ist so kalt.

Es ist so dunkel hier in diesem Wasserwald, wo komm ich her, wo geh ich hin, wo war ich bloß in dieser Zeit die mir ein Leben malte hinter dies, mein Herz, und meine Seele hielt mit Klammergriff?
Ich fühle dich so nah, du bist so warm, so warm, du schwitzt durch diese Nähe fremder Haut dein Blut durch meine Poren in mein Fleisch, wirst ich, ich werde du, wo waren wir als wir noch zwei? Noch drei, noch tausende, vielleicht Millionen? Die Augen öffnend sehe ich die Sonne sich ertränkend dort am Horizont im Meer, die Hand vor Augen einen Ring den ich dir schenkte weil ich dich so liebte als ich wußte wie das geht. Ein Silberstreif als Spiegel meiner Selbstverachtung wollte ich dich lachen sehn und doch hast du geweint, zu weit, zu tief war ich einst in dir drin, und du in mir, und nun?

Es ist so still.

Ich sehe dich und sehe grau so schwer, ich weiß, ich habe dich verloren weil ich dich so fest gehalten und mich selbst. Ich dachte wirklich daß ich bin, so glaube mir, ich hab das alles nicht gewollt, du lachst und doch ist mir, als sei dir alles ganz egal, so sitzt du da, ganz hinten in der Ecke, still und schweigend rauchst du eine Zigarette und der Rauch steigt hinter deinen Augen auf.

Es ist so still, was sollen wir noch sagen?
Hat jemals irgendwer gewußt was er gemeint mit dem was er gesagt?
Hat irgendwer verstanden?
Es ist nichts übrig weil nichts bleiben darf.

 


So steh ich auf
und geh zu dir herüber,
das Messer fällt aus meiner Scheide schwer in meine Hand,
und schneide dir
ganz sanft
die Kehle durch.




 

 

 

©Wortflorist




web counter