Der Himmel weint,
sagst du.
Und du lachst dabei.
Der Himmel weint kleine, kalte Tränen und die Menschen ärgern sich, sie denken nicht einmal daran, daß er möglicherweise einfach nur traurig ist!

Du siehst mich an.
Hörst du mir zu?
Ich nicke und setze mich bequem.
Weißt du, ich habe auch geweint. Letztes Jahr, letzten Monat, ja, ich glaube fast es war gestern, gestern habe ich zum letzten mal geweint und ich weiß nicht, ob du es bemerkt hast, hast du?

Ich weiß nicht, nein, ich glaube nicht, warum hast du geweint?
Du schüttelst den Kopf und atmest schwer.
Warum ich geweint habe? Welchen Grund soll ich dir nennen, welchen würdest du verstehen? Ich bin traurig, es ist so einfach, vielleicht habe ich meine Tage?
Hast Du?
Nein, ich dachte mir nur, du würdest das gerne hören, so wäre es leichter für dich!
Warum sagst du mir nicht einfach, was los ist mit dir, warum bist du so traurig? Was habe ich dir getan?
Ich weiß es nicht genau, ich bin ganz durcheinander!

Du setzt dich in den Sessel neben mir, zündest dir eine Zigarette an und machst ein seltsames Geräusch, siehst mich an und sagst:
Ich habe geträumt, daß du mich liebst, und deine Liebe so umfassend und universell sei, daß alles, was es sonst noch für dich in deinem Leben gibt, irgendwie mit mir zu tun hatte. Du warst zärtlich und leidenschaftlich, aufmerksam und einfühlend, witzig und intelligent, du sprachst mit leiser Stimme, und alles was du sagtest, konnte ich verstehen, und wenn nicht, dann hast du es mir so lange erklärt, bis ich es verstand. Stundenlang haben wir geredet und immer hatte ich am Abend, wenn ich im Bett lag, das Gefühl, dir noch nicht alles gesagt zu haben, wir noch nicht über alles gesprochen zu haben.
Wie atemlos schlief ich dann ein, stell dir vor, wie seltsam es ist, im Traum einzuschlafen. Ich habe, wenn ich so darüber rede, das Gefühl, der Traum dauerte jahrelang. Oft streichelten mich deine Hände sanft, und in der Nacht vibrierten unser beider Leiber in Erwartung einer Berührung oder Umarmung. Als Liebhaber warst du einfach wundervoll. Und wenn wir ausgingen, dann warst du nie so weit weg, als daß ich dich nicht finden konnte. Manchmal sahst du mich an, quer durch den Raum und ich wußte, wie sehr du mich liebst und begehrst. Du gabst mir das Gefühl, für dich die Nummer eins zu sein. Du gabst mir das Gefühl, durch  und durch eine Frau zu sein. Ich war so glücklich!

Du siehst zur Decke und nimmst einen Zug von der Zigarette.
Ich versuche, deine Hand zu nehmen, doch du entziehst sie mir.
Und was ist nun geschehen, daß du so traurig bist?

Ich wachte auf, in der Wirklichkeit. Ich sah dich an. Du schliefst noch und lange betrachtete ich dein Gesicht, du siehst immer aus wie ein Baby, ich habe dich immer gern im Schlaf angeschaut. Und irgendwie hat es in meinem Kopf „klick“ gemacht. So, als würde jemand einen Schalter umlegen und nun beginnt ein anderes, ein neues Leben!
Was meinst du damit, ein neues Leben?
Ich meine, als ich aufwachte und dich ansah wußte ich, ich hatte keinen Traum. Es war Wirklichkeit. Es war so wie ich träumte, oder besser, wie ich es lebe, lebte, ach, ich weiß auch nicht, bloß eben, daß ich das Gefühl hatte, etwas zu übersehen, etwas zu versäumen, etwas würde nicht stimmen an dieser Sache zwischen... dir und mir!

Du machst ein verzweifeltes Gesicht
Und was... ich meine was macht dich so...Was hast du vor?
Ich werde dich verlassen, heute!
Ich verstehe kein Wort, krame hilflos in meinem Kopf nach etwas vernünftigem, etwas, daß mich klarer denken läßt.
Warum, oder ist diese Frage kindisch?

Weil es nicht richtig ist. Es gibt auf dieser Welt nicht diese Harmonie, nicht diese Übereinstimmung, wir dürfen, ich darf, nicht so glücklich sein. Irgendwann ist es vorbei, du wirst mich eines Tages belügen, betrügen, anschreien, mich vielleicht sogar schlagen. Eines Tages wirst du mich nicht mehr lieben. Und was mache ich dann, wenn ich mich an all dies so sehr gewöhnt habe? Ich weiß, daß du da bist, du mich hälst, wenn ich mich fürchte, meine Freude und mein Leid mit mir teilst? Noch ist es nicht so daß ich ohne dich nicht leben will, nicht kann, egal wie schön es ist, da ist ein Haken. Schau dich doch um, kennst du eine Beziehung in unserem Bekanntenkreis die funktioniert? Hast du das Gefühl, bei den anderen sei es wie bei uns? Nein, ich nicht, ich weiß nicht, wie es dir erklären soll, aber ich habe Angst. Angst, daß deine Liebe eines Tages stirbt und ich mit ihr sterben würde!
 

 

Du bist verrückt! sage ich kopfschüttelnd.
Vielleicht bin ich das, aber nicht so verrückt, als daß ich bei einem Mann bliebe, der mich liebt, den ich liebe und mit dem ich alt werden möchte, einen, von dem ich irgendwann, wenn ich sterben muß, den letzten Kuß haben möchte vor dieser letzten, langen Reise.
                         
Kann ich irgendetwas tun? frage ich leise.
Du stehst auf und gehst aus dem Zimmer, ich höre dich poltern und wenig später stehst du mit einem Koffer in der Hand vor mir.
Lebewohl! flüsterst du, und du siehst mich dabei nicht an.

Ich sitze wie festgenagelt auf dem Sessel. Du gehst. Ich höre die Wohnungstür ins Schloß fallen, dann ist Stille. Es wird plötzlich Winter in meinem Kopf und leise fällt Schnee auf mein brennendes Herz. Alles wird anders sein. Du bist weg. Weg. Ich schalte den Fernseher ein und gleich wieder aus. Rauche hastig. Schaue aus dem Fenster, Schnee fällt, stille Nacht, hauche ein Herz auf die kalte Scheibe, es reißt. Lege mich aufs Bett, stehe auf. Ziehe meinen Mantel an und setze mich im Badezimmer auf den Boden, mache das Licht an, aus, rauche, trinke einen Schluck warmes Wasser aus der Leitung. Du bist weg. Ich gehe ins Schlafzimmer und werfe dein Kopfkissen aus dem Fenster auf die Straße, es ist dunkel und kalt, und die Schneeflocken tanzen auf dem Kissen durch die Nacht.
Da sehe ich dich auf der anderen Straßenseite unter einem Baum stehen. Ein Mann steht neben dir, er trägt deinen Koffer und hat einen Arm um deine Hüfte gelegt.

Du weinst.

Vielleicht um mich. Ich weiß es nicht.


Das Telefon klingelt, ich schließe das Fenster, hebe ab und höre deine Stimme:
Du, es wird später heute abend, willst du mich nicht abholen und wir gehen zusammen essen?
Ich habe keinen Hunger, ich...!
Gut, also in zwei Stunden, ich freue mich!
Du legst auf.

Ich stehe noch einen Moment mit dem Hörer in der Hand und starre auf den Teppich.

Mit wem telefonierst du?
Ich gehe ins Bad, du liegst in der Wanne, überall Schaum.
Falsch verbunden, glaube ich!

Ich gehe zurück zum Fenster, und noch immer stehst du dort unten neben dem Baum, an deiner Seite nun zwei Männer, die jeweils einen Am um deine Hüfte gelegt haben.
Ich sehe ein Kind mit deinem Kopfkissen unter dem Arm die Straße hinunterlaufen, du rufst etwas, daß ich nicht verstehen kann. Ich gehe ins Bad. Du bist nicht mehr da. Nur der Schaum.

Komm doch mal! deine Stimme aus dem Wohnzimmer,
sieh doch, da unten, auf der Straße, ist das nicht merkwürdig?

 

Ich schaue aus dem Fenster, dort unten stehst du mit Hunderten von Männern die alle gleich aussehen, sie scheinen sich zu streiten, da jeder versucht, seinen Arm um deine Hüfte zu legen. Ein Bus fährt vor und hält vor der Menschenmenge. Für einen Moment sehe ich nicht, was passiert, doch der Bus fährt nach wenigen Minuten wieder ab. Hunderte von Frauen müssen in diesem Bus gewesen sein, sie sind ausgestiegen und stehen nun jeweils neben einem der Männer, die ihren Arm um deren Hüfte gelegt halten.

Kennst du den nicht? höre ich dich fragen.
Wen meinst du, den mit dem Hut?
Nein, den neben ihm, mit dem blauen Mantel!

Aus Schnee wird Regen. Ich sehe dich an. Ich sehe dein Gesicht in der Fensterscheibe sich spiegeln. Dort, wo die Atemluft aus deiner Nase kommt, wachsen Eisblumen auf dem Glas. Es riecht nach Kerzenlicht. Sachte lege ich eine Hand auf die Scheibe. Lautlos kriechen Eiskristalle über meine Finger.
Ich verlasse die Wohnung, gehe hinunter und überquere die Straße. Dränge mich durch die Menge. Der mit dem blauen Mantel steht mit dem Rücken zu mir. Ein merkwürdiges Gefühl kriecht meine Wirbelsäule hinauf und wartet dort. Ich strecke meine Hand aus und lege sie dem Mantel auf die Schulter, er dreht sich um.
Da bist du ja! sagt er freundlich, komm mit!
Er nimmt mich an der Hand und führt mich zu dir, du stehst allein und mein Begleiter legt meinen Arm um deine Hüfte.
 

 

Ich dachte schon, ich hätte dich verloren!

sagst du so leise wie fallender Schnee.
Das dachte ich auch von dir!

Aber es ist alles wie immer. Wir haben uns geträumt. Geträumt in einer langen Nacht und tief geschlafen, jahrelang. Ich habe dich gesucht und nicht gefunden, also bin ich aufgewacht. Nun bist du da. Ich möchte nach Hause. Bringst du mich nach Hause?
Wir gehen zusammen zurück in die Wohnung. Du setzt dich in den Sessel und zündest dir eine Zigarette an.
Der Himmel weint,

sagst du.
Und du lachst dabei.
 
Willst du mich verlassen? frage ich.
Ich bin glücklich mit dir, warum sollte ich das tun?
Wo wolltest du denn hin?
Ich habe auf dich gewartet!
Bin ich eben angekommen?

Was ist los mit dir?
Ich werde dich verlassen, heute!

sage ich leise.

 

Ich gehe ins Schlafzimmer, ziehe meinen blauen Mantel an, im Flur steht ein Koffer, ich nehme ihn, gehe zurück ins Wohnzimmer.
                             
Lebewohl!
sage ich, und sehe dich nicht an dabei.

Gehe aus der Wohnung, hinunter auf die Straße. Gegenüber wartest du, ich gehe zu dir, stelle mich neben dich. Schweigend lege ich einen Arm um deine Hüfte.

 

 

 

 

 

 

Ich schaue nach oben zu den erleuchteten Fenstern.
Hinter einem stehst du
und weinst.
Und deine Tränen sind klein
und kalt,
so,
als würde der Himmel weinen.


 

 

 

 

 

 

 


©Wortflorist

august 2005