Es war im Juni. Oder September. Vielleicht, nein sicher, Mai.. Man vergißt so leicht, wenn das Leben die Jahre in Zehnerschritten mißt. Jedenfalls hat es ununterbrochen geregnet. Von gelegentlichen Unterbrechungen abgesehen, in denen die Sonnenstrahlen mit solcher Wucht die Erde trafen, daß viele im Glauben, alles würde einfach so wegschmelzen, in die Kirchen rannten und hilflose Priester um ein gutes Wort beim Allmächtigen, oder seinem Sohn oder der heiligen Jungfrau, baten. Manchmal schlugen sie mich, im Glauben, es könne irgendetwas besser werden. Oder sie brüllten mich an. Oder beides zugleich. Ich weiß nicht ob es für sie etwas änderte. Aber für mich tat es das.

Manchmal beobachtete ich den Nachbarn, welcher, mit Gummistiefeln aus Wehrmachtszeiten an den Füßen, ansonsten in Boxershorts mit lustigen Nikolausmotiven und freiem, speckig glänzendem Oberkörper, im Garten eine Arche zusammenzimmerte.
Jahrelang bestimmte das Geräusch schmerzvoll unter den Zähnen der Säge, dem Eindringen schwerer, eiserner Nägel und Durchdringung mittels stählerner Bohrer aufschreienden Holzes meinen Tagesryhtmus. Eines Tages trug er seine tote Frau in dieses Boot und schlief mit ihr in stillen Vollmondnächten unter den wachsamen Augen einer höheren Instanz.

Die Sintflut blieb indes aus.

Es gab einen Hund mit Namen Blacky. Mit einer Krone aus Haaren, weich und wuschelig. Eine Katze auf drei Beinen, Fritzchen, ein Tiger ohne Krallen. Wegen der Polster. Einen Hamster namens Bamsty. Mit dicken Backen über den Tisch gleitend, saugte er die Reste des Abendessens weg, bis er eines Tages auf der heißen Herdplatte seine Füße wegschmurgelte. Fieep!!!

Ein Kind mit schiefen Zähnen und Hodenhochstand. Ich nannte ihn Bruder Lothar. Er war ein leiblicher, ein Erstgeborener. Bevorzugt. Geliebt. Verhätschelt und dennoch mißraten. Und es gab ausgestopfte Tiere an den Wänden, einen Jesus am Kruzifix, die betenden Hände von Dürer aus Plastik in Kupferoptik. Und es gab Momente höchster Not und jahrelang schrie ich mir stumm die Lungen wund. Und ich kratzte mich, bis Blut floß und der Schmerz war so aufrichtig wie niemand jemals sein kann. Ich fragte die Katze, ob Schmerzen töten können, doch sie schwieg mir mitten ins Gesicht. Doch wen hätte ich fragen können an einem Ort, an dem alle lügen? War nicht das Schweigen der Katze die ehrlichste Antwort? Der Hund bellte immerzu.
 
Und er roch schlecht, wie so vieles.

Ich wurde katholisch, und meine erste, heilige Kommunion war insofern ein Debakel, als das mir das heiße Wachs der Kerze in meiner Hand die Haut verbrannte, und der Leib Christi in Form einer geweihten Hostie, welche nichts anderes als eine ordinäre Backoblate war, klebte mir tagelang am Gaumen fest.
So wurde Gott flach, weiß, trocken und klebrig.

Ist da draußen irgendjemand?
Ich fühlte mich einsam.

Alle um mich herum schienen angefüllt mit dem dringenden Bedürfnis nach Bewegung. Einer schreit: "Los geht’s!" Und alle rennen. Jeder in eine andere Richtung und am Horizont begegnen sie sich selbst, schwer atmend und nur erschöpft, aber nicht schlauer, nicht weiser, nur müde. Und dann geben sie sich gegenseitig die Schuld. Doch wessen haben sie sich schuldig gemacht? Was geschieht da und wieso? Und wieso ist immer irgendeiner an irgendwas schuld? Diese Frage bestimmte mein Denken, und sie betraf mich selbst.

Ich konnte mich nicht bewegen.

An manchen Tagen hob ich meinen rechten Arm und legte ihn auf meinen Kopf bis er einschlief, dann weckte ich ihn zärtlich wieder auf und tat daß gleiche, oder dasselbe, mit dem linken. Manchmal schlief mein Kopf selbst ein.
Doch oft schmerzte er so sehr, daß ich manchmal mit geschlossenen Augen die Entstehung des Universums beobachten konnte. Es blitzte in tausend Farben und Millionen Sterne stoben lautlos auseinander. Und ich begriff, daß die wirklich wichtigen Ereignisse im Leben lautlos vonstatten gingen. So konnte man sie leicht übersehen, falls man gerade in die falsche Richtung sah. Deshalb drehte ich mich gelegentlich um.
So vergingen Jahre.

Und ich vergaß zu wachsen. Ich vergaß zu atmen. Ich vergaß mich selbst. Manchmal. Ich vergaß zu essen. Meine Haut verbrannte und mit ihr mein Fleisch.

 

Und manchmal schlief ich ein und träumte von Fröschen unter knarrenden Dielen, sie blickten mit goldenen Augen in meine Zukunft und seufzten schwer. Ihre Haut glänzte feucht und egal wie sehr ich sie küßte, sie verwandelten sich nicht. Sie blieben wie sie waren. Kalt, feucht und goldäugig, stumm und traurig.

Irgendwann stand ich auf und, aufgeschreckt durch die plötzliche Bewegung, rannten zweihundert schwarze Socken hinaus auf die Straße auf und davon. Ich hörte die Waschmaschine sterben und in der rostigen Dose wurde der Kaffee ranzig. Der Hund bellte immer noch, Menschen starben an seltsamen
Krankheiten, hingen an Seilen um ihren Hals oder stürzten aus Fenstern hinaus in die Freiheit. Und immerzu schrie irgendeiner einen anderen an. Und sie beobachteten mich und sahen, daß ich begann zu verstehen. Und sie haßten mich dafür. Ich war ein Kind. Ein Kind darf das nicht. Wie oft blicken wir in Kinderaugen und erkennen die Wahrheit dahinter, wissen um dies Wissen, welches wir verloren haben auf unserem Weg in das Leben?

So verging die Zeit. So brachte ich fast mein Leben hinter mich. Irgendwann begann ich zu sprechen. Und hörte nicht mehr auf.

Ich sprach mit Pflanzen und Tieren und ich sprach mit Kindern. Und ich sprach mit Erwachsenen. Wobei die Grenzen fließend zu ziehen sind. Es gibt selten einen scharfen Schnitt, es vermischt sich. Und das nicht bloß an der Peripherie, also am Rand, nein, vielmehr vermischt es sich tief drinnen. Immer wieder erwischt es die Stärksten unter ihnen, denn sie sind am liebsten unter sich.  Sie sind gerne unter sich, dann fällt es nicht so auf, Maler reden am liebsten mit anderen Malern über das Malen. Man weiß, wovon die Rede ist.

Keine Angst, etwa ohne Schlittschuhe auf dünnen Eis, unpassend gekleidetet auf der Beerdigung eines Freundes, den man nicht kannte, herumzustehen, sich am Buffet nicht zurechtzufinden, vergeblich nach Worten ringend die Umstehenden für sich einzunehmen versuchend, um am Ende der Veranstaltung herauszufinden, auf der eigenen Hochzeit mit einer Frau, die man noch nie zuvor sah den heiligen Bund der Ehe eingehen zu müssen und nicht einmal von der Erbsünde befreit, sprich getauft, zu sein. Willst Du diese Frau/diesen Mann lieben und ehren bis das der Tod euch scheidet? Ja! Warum weinen die Menschen so oft an dieser Stelle? Wissen sie etwas, was denen da vorne verschlossen bleibt?

Aber ich schweife ab. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Also ich redete mit allen. Dachte ich. Hörte ich zu? Ich konnte mir nie sicher sein. Also von vorn.

Ich redete mit Männern.
Großen, starken Erfolgsmännern und mikrigen Versagern. Doch sie schienen sich untereinander zu paaren, denn es gab Kreuzungen zwischen beiden Formen. Manche unterhielten mich gut, andere langweilten mich durch bloße Anwesenheit. Manche unterhielten nur sich selbst. Viele trugen Lederjacken aus gefärbter Rinderhaut und wurden so unfreiwillig zu Brüdern, sie begannen sich ähnlich zu werden. An manchen Tagen waren sie nur mühsam zu unterscheiden. Ich wollte so gerne verstehen, doch allzuoft blieb es bei einer unbefriedigenden Interpretation. Ich wehrte mich gegen die Bilder, welche sie vor meinem geistigen Auge malten, sie waren zu laut, zu gewaltig, so machtvoll und sinnlos.
Und wie oft war ich zu müde und gab mich ihnen hin? Und sie nahmen mich frontal und hart, oder heimlich und sanft von hinten. Es tat nicht immer weh und so war es auszuhalten. Einer mit langem Haar und Brille küßte mich in einem unbedachten Augenblick und sein Atem benetzte meine Oberlippe mit Morgentau spät in der Nacht. Ich sehe ihn an und Antworten auf ungestellte Fragen schreiben sich auf dieses eine leere Blatt auf dem Schreibtisch in meiner linken Hirnhälfte. 

Und ich traf Frauen. Auch mit ihnen begann ich zu sprechen. Sie waren anders. Weicher, dachte ich lange.
Manche waren laut und andere so leise wie Staub unter Ehebetten. Ich liebte einige ob ihrer Stille, die doch allzuoft Tiefe vorgaukelte. Oft war es nur Leere. Wenn ein See schwarz ist, dann muß man hineingehen um herauszufinden, ob er wirklich tief  ist oder einfach nur schmutzig. Einige schrien mit aufdringlichen Parfüms in meine Nase welche ab und an ihre Arbeit verweigerte. Manche schwitzten Pfützen unter die Stühle auf denen sie harrten und andere schmirgelten mit Gänsehaut die Luft zu Apfelmus. Setzt dich hin und warte, jemand wird kommen und sich zu dir setzen. Warte noch ein wenig, und er wird gehen. Ich merkte mir ihre Gesichter und vergaß ihre Namen im Augenblick der Erwähnung.
Und es gab Leiber die sich verweigerten und andere, die sich hingaben. Und ich suchte in ihnen nach Leben und fand in ihnen die Suche danach. Und es gab Münder. Sie bewegten sich unaufhörlich, und das Geräusch der Lippen war unwesentlich spannender als daß meiner zappelnden Füße. Ich saß und rannte. Und ihre Geschichten glichen sich untereinander wie Groschenromane, und bewegten die Herzen in unterschiedliche Richtungen. Hin und her. Manchmal rauf. Meistens runter. Und selten im Kreis. So wurde mir wenigstens nicht schwindelig. Obwohl, manchmal wurde mir schlecht. Ich blieb bei mir und hörte mir zu.

Sei still, ich will dich küssen.
Mit wem redest du?
Und warum siehst du hinter dich?

Und es gab Augen. Augen wie leergeschlürfte Suppenteller. Zeig mir was, ich will was sehn. Einer tanzt mit wildem Blick und Muskeln im Gesicht und bricht am Schluß des von ihr gesummten Liedes zusammen. Sie dreht sich weg
                                                         da tanzt schon längst ein anderer.

Andere Augen. Voll salziger Wasser. Auf einem Schlauchboot mit zu wenig Luft auf offenem Meer.
„Now i try`d across the wild sargasso sea, please kiss me babe, there`s nothing else to see!“

Ich verdurste in einem Meer von Tränen, geweint auf einem Berg, der Sehnsucht heißt und der Hintern ist wund vom sitzen und die Ohren vom lauschen und die Augen vom schauen und das Herz vom schlagen und die Hände vom streicheln der Steine. Und die Haut brennt und selbst der Schnee verdunstet, lange bevor er sie erreicht.

Und sie bogen die Rücken durch bis es knirschte. Und sie lockten mit Brüsten und Mösen und den Ruinen versunkener Städte, einst voller Leben und Leidenschaft, sie errichteten Mauern um unfruchtbares Land und bauten Türme aus Marmor, setzten sich auf ihr goldenes Vlies um in eine neblige Ferne zu blicken, in der es nichts zu sehen gab außer all den anderen, welche ebenso einsam in ihren Zimmern an vergitterten Fenster saßen. Und so betrachtete eine die andere um doch nur zu sehen, was sie selbst tat.

Und ich sprach zu ihnen. Und mit ihnen. Sie erzählten mir was. Von sich. Oder etwas, daß sie im Fernsehen gesehen haben. So genau konnte ich dies nicht unterscheiden und ich dachte häufig, da ist kein Unterschied. In der Erinnerung waren sie wirklich selbst vor Ort.

Und ich wartete.
Ich wartete auf eine.
Doch sie kam nicht.
Und so begrub ich die Hoffnung in einer dunklen Nacht. Ich entfernte mich von mir und ich beobachtete mich.  Und ich beobachtet und richtete. Und ich bewertete. Ich schwoll an. Vorverurteilte hastig. Hielt mich fern und sah nichts. Irrte mich. Tat Unrecht und wußte nicht, was ich weiß, weil ich mir nicht glauben wollte was ich fühlte. Und doch, ich fühlte etwas.

Es begann an einem Sonntag im April oder so. Ich lag auf dem Sofa und blätterte in einem Buch. Vor dem Fenster sang ein Vogel, kein Wind und die Sonne lachte mit wenigen Wolken um die Wette. Ein Unbekannter trat ins Zimmer, kam mit schnellen Schritten auf mich zu und steckte etwas in mich hinein. In meinen Kopf, nein, durch meine Brust tief in mich hinein. Auf jeden Fall ging es um mich, das spürte und wußte ich im selben Augenblick. Es tat unglaublich weh und ich fühlte, wie das Leben aus mir entwich. Lautlos wie der Fremde kam, so ging er auch. Und mit ihm der Teil meines Seins, der mir sicher war. Aber da war etwas in mir drin.
Etwas, das vorher nicht da war.

Es bewegte sich. Suchend, tastend.
Ich konnte fühlen wie es lauschte. Lauschte in den ohrenbetäubenden Lärm der in mir herrschte. Und dann war es plötzlich sehr, sehr still.
Es fand meine begrabene Hoffnung.
Es war so klein, daß ich manchmal dachte, es sei nicht da, es sei nichts geschehen. Doch es kroch auf weichen Pfoten katzengleich in mich hinein und blieb. Manchmal hörte ich es atmen, dann wurde mir warm ums Herz und ich wurde traurig, ohne zu wissen, warum. In manchen Nächten schlich ich zu ihm hin und sah es mir an, doch es war verschwommen, keine Form wollte genügen es zu erkennen. Ich wartete. Doch worauf?

 

Und ich polierte meine Rüstung aus Verachtung, und dennoch wurde sie blind. Mein Schwert, einst so scharf, daß eine Feder, die darüberglitt, sich teilte, wurde stumpf, so sehr ich es auch schliff.  Mein Pferd, einst hoch und stolz, lahmte, und sein Fell wurde grau und schwer. Es wollte mich nicht länger tragen. Was geschah mit mir, mit mir, dem König der Welt? Etwas wuchs in mir. Doch es blieb auch klein, wie soll ich es erklären? Es wuchs nach innen.

Es wuchs in mich hinein, füllte kleine Kammern, in denen Dunkelheit herrschte, mit Licht. Mit Kerzenlicht. Warm und hell. Und so sehr ich mich bemühte, so sehr ich festhielt was verloren war, so sehr ich schrie und strampelte, wie ich es auch ignorierte und wegdachte und wegfühlte, es blieb. Und wuchs. Und bald füllte es nicht bloß Kammern sondern Räume. Lag es zuerst noch in einer Ecke des Flures herum, so schlich es bald durch die Zimmer. Anfangs an den Wänden entlang, und seine Wärme brachte die schwärze zum verblassen, bald flanierte es ungeniert kreuz und quer durch die Säle meines Schloßes, kroch in Nischen und Erker, in Schränke und Truhen, setzte sich auf Stühle und Sessel, hüllte sich in Decken und Tücher und nach langer Zeit des umherstreifens und entdeckens gelangte es endlich zu dem größten und am besten gesicherten Trakt. Und ich stellte mich schützend vor die eiserne Tür, legte Ketten und Riegel, schob Tische und Schränke vor den Eingang, doch vergebens. Dieses weiche, formlose Wesen glitt hinein, hinein in den letzten Raum und fand ihn leer. Ich setzte mich, müde und erschöpft vom Kämpfen, müde von meiner Angst, müde wie von einer langen Reise wollte ich schlafen, mich ergeben. Ich fürchtete mich, denn dieses Wesen glitt lautlos in mein Herz. Für einen langen Augenblick hörte es auf zu schlagen.

Die Zeit stand still.
Und dann nahm dieses Wesen zögernd Gestalt an.

Es verwandelte sich in eine lange Tafel, eine weiße Tischdecke, darauf Kerzenleuchter und Blumen, um die Tafel errichtete es Stühle und Kissen, in einem Kamin loderte ein Feuer und die Wände überzog ein schwacher  Glanz von Rot und Gold. Dieses Zimmer, welches das Verließ meiner Angst war, meiner Angst vor Schmerzen, vor Verletzung und Einsamkeit, einer Einsamkeit,
welche mich so sehr durchdrang in all den Jahren, daß ich sie nicht einmal mehr bemerkte, diese Normalität der alles durchtränkenden Melancholie, dieses hinnehmen der Belanglosigkeit, der Ereignislosigkeit, der Arroganz und der Überheblichkeit, dieser endlosen Monologe und Erklärungen, der Leere und der Kälte und Stille. Dieses Zimmer, welches ich mein Herz nenne, war nicht länger verschlossen. Die Tür war auf. Was hatte ich falsch gemacht? Was habe ich vergessen, nicht beachtet? Was war dieses Wesen, welches all dies so sehr verändert hat?

Und dann flüsterte es leise seinen Namen. Und ich hörte und ich verstand. Und ich wunderte mich, denn kannte ich es doch. Doch es waren immer die anderen welche von ihm sprachen. Und ich wußte nie was sie meinten. Doch nun verstand ich.

Sein Name lautet: Nächstenliebe!

Und so begann ich mich zu verändern. Und mit mir alle anderen. Irgendwie wurden all diese Fremden zu Menschen. Sie bekamen ein Profil, sie begannen, sich voneinander zu unterscheiden, und nicht in dem Grad ihrer Dummheit und Einfalt, nein, sie unterschieden sich in ihrer Wichtigkeit, in ihrer Bedeutung. Ich konnte sie hören. Und ich begann immer stärker zu differenzieren, immer feiner wurden die Nuancen, immer klarer standen einige in ihrer wahren Gestalt vor mir und manche wurden wichtig, weil ich begann, zu verstehen. Ich hörte nicht länger die Geräusche ihrer Leiber, sondern wurde ihrer Seele bewußt. Und es ängstigte mich erneut.

Ich kannte mich plötzlich nicht mehr aus, ich spazierte durch ein unbekanntes Land, ohne Plan, ohne Orientierung,  die Sprache war die Gleiche, doch sie bedeutete etwas anderes. Es kam zu Mißverständnissen, Ungereimtheiten, Durcheinander. Ich verletzte, wo ich heilen wollte. Ich wurde ärgerlich, wo ich mich hätte freuen können, ich hielt fest, was fliegen mußte und ließ los, was Halt brauchte. Ich ignorierte, wo Aufmerksamkeit nötig war, ich ging weg, wenn ich hätte bleiben sollen und blieb, wo ich hätte gehen müssen.

 

Wie oft löschte ich das Licht und ließ die ängstlichen im Dunkeln zurück und ließ die Lampe an, wenn die Nacht die Erlösung gewesen wäre.
Ich umarmte an den falschen Stellen, hielt fest was weglief und stieß von mir, was bleiben wollte.

Die vertrauten Muster tauchen immer wieder auf. Ich sehnte mich nach der Vertrautheit des Gefühls der Einsamkeit, ich wollte meine Arroganz zurück. Ich wollte mir wieder der Wichtigste sein. Doch es gelang mir nicht.
Es gibt eine Form, die ich Vertrauen nennen will.
Sie ist nicht starr, sondern vielmehr weich und biegsam. Ich glaube ihr nicht immer, sie hat mich oft getäuscht und manchmal tat es furchtbar weh. Und manchmal hat sich jemand auf das kleine rote Kissen in meinem Herzzimmer gesetzt und alles durcheinander gebracht. Nägel in die Wände geschlagen und falsche Bilder aufgehängt, es war so schwer sie wieder loszuwerden, und manche bleiben für immer drin,. Sie haben sich festgebunden, mit dünnen Fäden aus Sehnsucht, gewebt aus den Fasern ihrer Wünsche.

Und andere haben Dinge gestohlen. Dinge, die sie niemals hätten haben dürfen, und die nur sehr langsam nachwachsen. Doch ich kann warten, denn eines habe ich gelernt: Geduld zu haben. Denn wenn mir etwas wirklich gehört, dann ist es irgendwann auch da, dann kommt es zurück oder es wird mir geschenkt. Manches finde ich, und dann lege ich es zu den anderen Schätzen.

Und manches mal betrachte ich dies alles. Alles was ich hier beschrieb und alles, was ich vergaß.  Und ich weiß, kein Gedanke wurde vergeblich gedacht, keine Träne ohne Grund geweint, kein Kuß wird je vergessen sein.
Kein Blick fiel in die Tiefe einer schwarzen Nacht, und ist am Morgen irgendwo nicht wieder aufgewacht.